Satirischer Monatsrückblick März 2015

von | März 31, 2015 | Satirischer Monatsrückblick

Der März hatte es in sich. Der März stellte den Satiriker vor die Fragen: Was tun? Worüber schreibt man einen satirischen Monatsrückblick nach einer Flugzeugkatastrophe? Einfach ignorieren und über irgendetwas anderes schreiben?
Wie bringe ich die Menschen diesmal zum Schmunzeln? Muss ich das überhaupt? Oder mache ich mal Pause? Einfach aussetzen? Andererseits gibt es schon genügend Aussetzer.
Und wie beende ich meinen Monatsrückblick? Ich kann doch nicht wie jedes Mal schreiben: Immer schön lächeln!

Und während ich bei einem Spaziergang noch darüber nachsinne, kommt mir Opa Schlawutzke entgegen: „Na, Herr Nachbar“, begrüßt er mich, „ich hoffe, Sie haben sich nicht diese schmutzigen Talk-Shows von Günther Jau und Sandra Mai angesehen?“
„Von wem?“, frag ich.
„Na von Sandra Mai und Günther Jau, diese dusseligen Talk-Shows. Im Fernsehen“, fügt er noch hinzu.
„Ach, Sie meinen Günther Jauch und Sandra Maischberger“, sag ich.
„Kann sein“, sagt Opa Schlawutzke, „aber da können Sie mal sehen, wie schnell ich den Fernseher abstelle, wenn ich die Namen auch nur höre.“

Opa Schlawutzke ist weit über achtzig Jahre alt und gehört zu den Menschen, die einen Escort-Service für ein Angebot der Ford-Autowerkstatt halten. Aber diesmal ist er voll auf der Höhe der Zeit.
Was sich unsere grenzdebilen Talk-Master diesmal geleistet haben, ist mit Worten kaum zu beschreiben.

Himmlisch: Leeres Studio

Himmlisch: Leeres Studio

Ob Anne Will, die Illner, der Lanz oder Plasberg, Jauch und Maischberger, alle besudelten sie uns mit ihrem sensationslüsternen Geifer. Niki-Lauda hatte ein regelrechtes Talk-Show-Abo und war eine ganze Woche auf Sendung. Genau wie einige andere selbsternannte Experten. Und dann wurde vermutet, spekuliert, analysiert, vernebelt, Theorien aufgestellt und wieder verworfen.
Brauchen Sie das? Ich will das nicht. Nein, ich will das nicht.

Fakten für drei Minuten Nachrichten wurden zu einem 45-Minuten-Brennpunkt aufgeblasen. Eine Sondersendung jagte die nächste. Es wurde gesendet nach dem Motto „Tote sind gut für die Quote.“
Schämt euch. Ich will das nicht.

Und im Internet erst. Der Rauch von der Absturzstelle des Flugzeuges war noch nicht verzogen, da war auf nahezu jedem Internet-Portal ein Live-Ticker zu sehen. Egal welches Zeitungsportal man anklickte, minutiös aktualisiert, direkt vor Ort.
Ich will das nicht. Nein. Ich hoffte auf den Absturz meines Computers, damit ich nichts mehr vom Absturz lesen musste.

Und dann ging es erst richtig los. Die ersten Fotos. Fotos sind ganz wichtig. Noch besser Videos. Und was für ein Jammer, dass keiner live mitgefilmt hat. So mit dem Handy.
Dann wurde der Stimm-Recorder ausgewertet. Schreie der Passagiere sollen drauf sein. Wahrscheinlich bald als mp3-Datei zum downloaden ins Netz gestellt. Das ist diesen „Qualitäts-Journalisten“ doch alles zuzutrauen.
Ich will das nicht. Ich will nicht wissen, welche Leichen wie untersucht werden und welche Hautpartikel zur Auswertung nutzen.

Ein Reporter ist fast enttäuscht, dass von den Schulkameraden der Opfer keiner zusammenbricht und die bereitstehenden Krankenwagen gar nicht gebraucht werden. – Ich will das nicht wissen.
Und dann sollen sie in der Schule „Atemlos“ von Helene Fischer gesungen haben. Normalerweise eine Steilvorlage für einen Kabarettisten, aber diesmal nicht. Nein. Jeder trauert anders. Der eine singt „Atemlos“ der andere geht zu einem Spiel vom HSV. Dann ist das halt so.

Als ein Suizid vermutet wurde (man schreibt gerne Suizid, das klingt etwas eleganter als Selbstmord), war der Sündenbock gefunden. Wörter wie „vermutet“, „gehen davon aus“, „offenbar“ werden schnell überlesen.
Zeitungen bringen das Foto und den kompletten Namen des Co-Piloten. Nichts mehr von Personenschutz, obwohl die Untersuchungen noch lange nicht abgeschlossen sind. TV-Sender bringen Bilder von der Wohnung, einen Live-Stream von der Haustür. Makaber. Pietätlos.
Ich will das nicht. Es kommt über mich wie unverdautes Essen oder anders formuliert: Es kotzt mich an!

Goldhamster oder Streuselkuchen?

Goldhamster oder Streuselkuchen?

Auf einmal gibt es Schlagzeilen „Kranke Piloten – Wie gefährlich sind sie?“ (Dabei finde ich Radfahrer viel gefährlicher. Vor allem die mit Helm. Aber das ist ein anderes Thema.)
Stress, Depressionen, wie viele Piloten sind psychisch krank? Wie viele? Der Pöbel weiß es längst: Alle!
Da wird nicht mehr differenziert, da wird alles durcheinandergeschmissen, verwechselt, verknüpft. Da wird eine ganze Berufsgruppe verunglimpft.
Das ist Hexenjagd 2.0.

Und die Stimme des Volkes spricht in Form von User-Kommentaren (bei Opa Schlawutzke waren das noch Leserbriefe): „Ich habe es immer gewusst, so fertig, wie die Piloten aussehen, die sind doch alle zugedröhnt mit Medikamenten.“
Kommentare, meist verfasst von Menschen, die einen Streuselkuchen nicht von einem Goldhamster unterscheiden können. Schlaumeier, die nicht mal in der Lage wären, einen Helikopter auf dem Kinderkarussell zu steuern.

Den Vogel abgeschossen (ja, ich weiß, das ist eine grenzwertige Formulierung im Zusammenhang mit einem Flugzeugabsturz) hat jedoch Frau Pusch von der „Emma“. Sie wissen schon, diese Zeitschrift von Alice Schwarzer. Frau Pusch ist Professorin und schreibt Artikel für die „Emma“. Sie fordert eine Frauenquote fürs Cockpit. Sie führt aus, dass statistisch mehr Männer Selbstmord begehen als Frauen. Zitat: „Die Lufthansa könnte also das Risiko, dass ihre Piloten das Flugzeug zu Selbstmord und vielfachem Mord missbrauchen, mit jeder Frau, die sie zur Pilotin ausbilden, ganz erheblich reduzieren.“

Dann beschwert sie sich noch, warum in der Presse bei den Opfern von Schülern gesprochen wird und nicht von Schülerinnen.
Ich fasse es nicht. Da wird mir wirklich schlecht. Da benutzt diese Frau eine Katastrophe für ihren Emanzen-Kindergarten. Warum zeigt kein TV-Sender die Wohnungstür von Frau Pusch?
Ich wusste nicht, dass man gleichzeitig habilitiert und so bescheuert sein kann.

Und nach einer Woche hört das immer noch nicht auf. Jetzt findet sich sogar der ein oder andere Augenzeuge, der alles gesehen haben will. Eine gewisse Boulevard-Zeitung bringt unaufhörlich weiter Live-Ticker: „Die Erklärung des Staatsanwaltes – jetzt live!“
Der Video-Tipp der Redaktion von Spiegel-online ist „Die Live-Suche der Blackbox“.
Das ist makaber. Ich will das wirklich nicht.

Aber es gibt sie noch, die Journalisten, die anders arbeiten. Stefan Niggemeier in seinem Blog zum Beispiel. Oder Frau Schmieding vom Deutschlandfunk. Sie bringt es auf den Punkt: „Im Großen und Ganzen ist also festzuhalten, dass in dieser Woche nicht nur 150 Menschen bei einer Flugzeugkatastrophe den Tod gefunden haben. Auch der Journalismus ist abgestürzt.“

Dem ist nichts mehr hinzuzufügen. Kommen Sie gut in den April und feiern Sie schön Ostern. Und falls Sie mal auf einen sensationsgeilen Journalisten treffen, der ihnen ein Mikrofon unter die Nase hält, dann sagen sie nichts. Einfach den Mund halten. Schauen Sie ihm in die Augen, schütteln Sie mitleidig mit dem Kopf und lächeln Sie ihn an. Jawohl. Einfach nur lächeln!


Fotos:Juliane.Juliane at de.wikipedia [CC BY-SA 2.0 de], vom Wikimedia Commons; Sqrt (Andreas Hein) (Eigenes Werk) [CC BY 3.0], via Wikimedia Commons

Spruch des Monats
„Gar nichts zu tun, das ist die allerschwierigste Beschäftigung und zugleich jene, die am meisten Geist voraussetzt.“
Oscar Wilde