Das Heinz’sche „Ritual“ verfolgt uns seit unserem ersten Urlaub vor sieben Jahren. Ich erinnere mich noch genau. Wir saßen nach einem Grillabend auf unserer Terrasse und frühstückten. Susanne schlürfte ihren Früchtetee und ich wollte gerade einen Löffel mit herrlich weichem Eidotter in meinem Mund schieben, da hörte ich es. Ein röchelndes Geräusch vom Nachbargrundstück. Heinz würgte, rülpste, hustete in einer Lautstärke, dass die Fische im Wolziger See es hören mussten und vor Ekel wahrscheinlich Pickel auf ihre Schuppen bekamen. Da es noch früh am Tage war, vermutete ich, es war der Morgenschleim, der Heinz zu schaffen machte. Hatte er mit seinem Räuspern und Röcheln Erfolg, hörte man ein lautes „Flupp“. Heinz spuckte seinen „Lungenhering“, wie er es nannte, in eine Ecke des Gartens.
Susanne und ich saßen am Frühstückstisch und schauten uns nur angewidert an.
„Wenigstens nimmt er es nicht in die Finger und steckt es wieder rein“, sagte ich.
Das war zu viel für Susanne, sie verschwand aufs Klo.
Wenn wir im Laufe des Tages die anderen Nachbarn aus der Urlaubssiedlung trafen, begrüßten sie uns mit einem fröhlichen: „Na, auch Heinz gehört? Keine Angst, da gewöhnt man sich dran“, versuchten sie uns Neue zu trösten.
Spätestens im Mai jeden Jahres fingen bei uns zu Hause die Diskussionen an.
„Dieses Jahr fahren wir woanders hin“, sagte ich.
„Aber warum denn?“, wollte Susanne wissen.
„Weil ich in meinem Urlaub mal wieder genüsslich ein Frühstücksei essen will. Ich hab keine Lust mehr mit anzuhören, wie Heinz einen Lungenhering nach dem anderen aus seiner kleinen Zehe hochholt und ich werde mich auch nicht dran gewöhnen“, argumentierte ich.
„Ja, ist schon gut“, sagte Susanne meist. Und damit waren die Diskussionen vorerst beendet. Und es kam, wie es kommen musste. Wir fuhren wieder nach Blossin. Jedes Jahr. Wegen der guten Luft, dem See, der urigen Hütte, Sybille und Richard und der anderen tollen Nachbarn. Das Problem war, dass die Lübkes ja auch richtig nette Menschen waren. Unkompliziert und einfach.
Im letzten Jahr war es dann passiert. Schon im April ereilte uns die Nachricht. Heinz war gestorben. Lieselotte war in tiefer Trauer und wollte nicht alleine die Hütte mieten, mit der sie so viele Erinnerungen verband. Mich überkam ein Gefühl von Trauer und gleichzeitig Erleichterung.
Ich gebe zu, wenn ich sonntags zu Hause am Frühstückstisch saß, einen Löffel weichgekochtes Ei aß und dabei an den bevorstehenden Urlaub dachte, da überwog doch das Gefühl der Erleichterung.
Gerd und Rosi heißen unsere neuen Urlaubsnachbarn. Sie sind beide um die fünfzig. Gerd arbeitet als Gymnasiallehrer und Rosi als Verwaltungsangestellte. Sie stammen aus Bayern und sehen ihren Urlaub bei den „Preußen“ als ein Zeichen ihrer Weltoffenheit.
„Huhu“, rief ich rüber, als ich die beiden das erste Mal sah.
„Jo mei, servus“, antwortete Gerd. Er hat ein Hobby. Gerd liebt Florian Silbereisen. Und das kann auch keinem entgehen. Laut schallt die Musik durch die Urlaubssiedlung.
Alle, wirklich alle sind sich einig: Heinz, wir vermissen dich!