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Alle Jahre wieder (1)
„Was für ein Baum nehmen wir dieses Jahr?“, fragt mich Eva.
„Wie meinst du das?“
„Na Weihnachten. Was für einen Baum? Blaufichte? Nordmanntanne?“
„Gar keinen.“
„Du bist wohl verrückt. Weihnachten ohne Baum kommt gar nicht in Frage“, echauffiert sie sich.
„Wir wollten doch eventuell über Weihnachten wegfahren. Dann brauchen wir doch dieses Jahr gar keinen Baum.“
„Der Weihnachtsbaum ist ein alter Brauch“, erregt sich Eva, „also stellt sich gar nicht die Frage nach dem brauchen.“
„Aber wenn wir über Weihnachten wegfahren“, lege ich nach, „macht das doch keinen Sinn. Dann kommen wir Anfang Januar zurück und kehren nur noch die Nadeln zusammen.“
„Völlig egal. Ein Weihnachtsbaum gehört dazu, sonst ist es kein Weihnachten. Notfalls kaufe ich mir selbst einen. Alleine nur für mich.“ Ihre Stimme klingt schrill.
„Wenn es unbedingt ein Baum sein muss, können wir doch so einen aus Plastik nehmen. Weißt du, so einen wie Onkel Herbert hat. Den können wir nach Weihnachten wie einen Regenschirm wieder zusammenklappen und damit sparen wir uns nächstes Jahr das Geld.“
Eva ringt nach Luft. „Ich glaub, du hast sie nicht mehr alle“, ruft sie mit hochrotem Kopf.
„Jetzt beruhige dich doch. Was denkst du eigentlich von mir?“, frag ich, will aber die Antwort gar nicht wissen. „Ich bin doch nicht so eine ästhetische Backpflaume wie Onkel Herbert. Natürlich kaufen wir einen Baum. Einen echten“, schiebe ich noch hinterher, „war doch nur Spaß.“
„Na bei dir weiß man ja nie“, seufzt Eva erleichtert auf.
Dieses Gespräch führen wir alle Jahre wieder. Fast auf das Wort genau. Als hätten wir es einstudiert. Eine Art modernes Krippenspiel. Jedes Jahr fragt mich Eva nach dem Baum. Jedes Mal antworte ich ihr, dass ich keinen will. Jedes Jahr fällt sie darauf rein und jedes Jahr mache ich den Vorschlag mit dem Plastikbaum.
Wir wollen auch jedes Jahr über Weihnachten in den Urlaub fahren. Tun es aber nie. Entweder haben wir uns zu spät darum gekümmert oder wir waren uns nicht einig, wer sich darum kümmert.
„Ich dachte, du hast dich um den Weihnachtsurlaub gekümmert?“, sagt dann einer von uns beiden. „Ich? Wieso ich? Ich dachte, du wolltest das machen“, antwortet der andere. Alle Jahre wieder. Immer dieselben Worte.
Nur die Zeit ändert sich. Jedes Jahr fängt es früher an.
„Wieso fragst du dieses Jahr schon im November nach dem Weihnachtsbaum?“, will ich von Eva wissen.
„Naja, Lebkuchen gibt es doch auch schon seit September und wir haben in vier Wochen Heilig Abend.“
„Viereinhalb Wochen“, berichtige ich, „und wieso sagst du immer Weihnachtsbaum, Christbaum klingt doch viel schöner.“
Selbst über den Namen des Baumes kann man sich streiten. Manchmal habe ich den Eindruck, Weihnachten ist nicht das Fest der Liebe, sondern des Zankens. Wahrscheinlich erfunden von Scheidungsanwälten und Immobilienhaien. Weihnachten trennen sich statistisch gesehen die meisten Paare. Und viele brauchen dann schon Silvester eine neue Wohnung. Da liegt der Gedanke doch nahe.
Weihnachtsbaum, Christbaum, Tannenbaum, wie du die Halleluja-Staude auch nennst, sie wird immer ein Anlass des Unfriedens sein.
Die Weinerts von nebenan haben ihren Baum sogar einmal „Holger“ genannt…
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