Marcel Reich-Ranicki

Marcel Reich-Ranicki

Er wurde gehasst. Er wurde geliebt. Die einen fanden seine Sendung „Das literarische Quartett“ eine akademische Spinnerei einer intellektuellen Doppelkopfrunde. Für andere war es das Hochamt der Büchergilde. Die Heilige Messe der Literatur, gelesen vom Papst selbst.

Nun ist er tot. Im Alter von 93 Jahren starb heute (Mittwoch) Marcel Reich-Ranicki.

Als er 2008 den Deutschen Fernsehpreis ablehnte, war das für viele ein Eklat. „Ich nehme diesen Preis nicht an!“ Dieser Satz, den viele zunächst für einen Scherz hielten, sollte sich in die Ohren der Menschen fressen. Dieser Satz wird ihn überleben.

Er wollte nicht zu denen gehören. „Ich finde es schlimm, dass ich das hier heute Abend erleben musste… diesen Blödsinn, den wir hier zu sehen bekommen haben“. So mancher Programmdirektor wird sich bei der Liveausstrahlung in die Schießer genässt haben.

Schade, dass du gehen musstest, Marcel – und erlaube mir aus Hochachtung das „Du“. Ich war kein Fan, sicher nicht. Aber an dir konnte man sich reiben. Und Reibung erzeugt Wärme. Eine Wärme, wie ich sie heute vielerorts vermisse.
Du spaltetest vielleicht die Nation, doch du wirst fehlen in all dem gequirlten Weichspülerbrei, den wir täglich von den Medien vorgesetzt bekommen. Solche „Spalter“, solche Querdenker braucht das Land.

Vielleicht hast du gerade noch die Kurve gekriegt, so kurz vor der Wahl. Wolltest diesen Zirkus am kommenden Sonntag nicht mehr erleben und hast dich lieber aus dem Staub gemacht.

Viele werden dich vergessen. Viele kennen dich schon jetzt nicht mehr. Einige werden dich vermissen. Vor allem Kabarettisten, für die du immer eine gute Parodie-Vorlage warst. Aber keine Angst, wie ich unsere Zunft kenne, wirst du dank eines kleinen dramaturgischen Kniffes aus dem Himmel für uns sprechen.
Ja, du hast Recht, manchmal können wir für eine Pointe nicht mal die Toten ruhen lassen.

„Ich nehme den Preis an!“

Aber falls dir da oben jemand die Himmelstür aufhält, falls dir jemand sagt: „Wir haben einen besonderen Preis für dich, Marcel. Du darfst mit Thomas Mann an einem Tisch sitzen und ein literarisches Quartett mit Dostojewski, Tolstoi und Schiller abhalten.“

Ja, ich weiß, du hast einmal auf die Frage nach Gott geantwortet: „Ich glaube an Shakespeare und Goethe, an Mozart und Beethoven.“
Dann lass mich den letzten Absatz noch mal beginnen…

Aber falls dir da oben jemand die Himmelstür aufhält, falls dir jemand sagt: „Wir haben einen besonderen Preis für dich, Marcel. Du darfst dir mit Shakespeare, Goethe, Mozart und Beethoven eine WG teilen.“
Dann, lieber Marcel Reich-Ranicki, sei nicht so stur, sondern sag einfach: „Ich nehme diesen Preis an!“
R.I.P.

Fotos: I, Dontworry [CC-BY-SA-2.5-2.0-1.0], via Wikimedia Commons