Ob du willst oder nicht. Du kommst nicht dran vorbei. Im Juni ist einfach alles Fußball. In jedem Online-Forum, bei Twitter, selbst bei Suchmaschinen im Internet hüpfen Bälle auf und ab.
Claudia Kleinert, die Wetterfee bei den „Tagesthemen“, erzählt mir, dass während des Spiels der Deutschen die Sonne scheint.
Ich will aber wissen, wie das Wetter am Vormittag wird, denn da muss ich mit dem Fahrrad zur Arbeit. – Interessiert nicht. Vormittag gibt’s nicht. Es gibt nur: Fußball!

Was würde Günter Netzer sagen?

Und das ist gut so. Es geht um Sport. Und Spaß. Vor allem um Spaß. Ein Volk probt die Gute Laune.
So ein rassiges Fußballspiel, das hat Leidenschaft, das hat Biss. Das hat sich Herr Suárez aus Uruguay auch gedacht. Schnapp – einmal zugebissen und jetzt weiß er wie italienische Schulter schmeckt. (Was würde wohl Günter Netzer dazu sagen?) Aber was soll‘s? Hauptsache er hat gewonnen!

Er will doch nur spielen

Er will doch nur spielen.

Hoffentlich macht das nicht Schule. Sonst beißt die Merkel beim nächsten Wahlkampf dem Gabriel in die Wade. Für einen Sieg tut die alles.

Nach der Beißattacke hat die Fifa den Spieler Suárez gesperrt. Sein Herrchen…äh…Trainer behauptet aber: „Er will doch nur spielen!“

Überhaupt die Fifa. Von der Struktur her so eine Art Kaninchenzüchterverein nur ohne Kaninchen. Dafür aber mit einer Menge Hornochsen. Und einen Spaß machen die. Ich hab mich schlappgelacht als ich gehört hab, die Ethik-Kommission der Fifa hat den Beckenbauer gesperrt.
Ethik-Kommission der Fifa? Auf so einen Witz wäre selbst ich nie gekommen. Fifa und Ethik-Kommission, das ist ein klassisches Oxymoron.
Oxymoron? Nein, das ist nichts Versautes, sondern eine Formulierung die aus sich ausschließenden Begriffen gebildet wird.
Zum Beispiel: Ein Hallenbad im Freien. Oder: Die Gesangskunst von Dieter Bohlen. Gregor Gysis Haartracht. Béla Réthys Fußballsachverstand.

Flachpfeifen vorm Bildschirm

Ich gebe zu, ich bin kein Fan von Public Viewing. Ich will beim Fußballgucken meine Ruhe.
Nicht die Sprüche von Reportern, Spielern, Experten oder Trainern verderben mir den Spaß – sondern die Sprüche von den Mitzuschauern. Das nervt. Diese hohlen Phrasen. Vor allem von denen, die sonst überhaupt nichts mit Fußball am Schienbein haben. Die bei einer WM so tun, als wären sie schon bei der Erfindung des Balles dabei gewesen. Die Waldemar Hartmanns der Bierzelte. Die Katrin Müller-Hohensteins der Cocktail-Bars. Die bei jedem Angriff der Deutschen schreien als würde der Zalando-Mann das Päckchen bringen. Die während des Spiels ihre oberschlauen Kommentare abgeben, aber Figo für einen portugiesischen Gesellschaftstanz halten.
Die bei Brasilien gegen Chile fragen: „Welches sind die Deutschen?“ Aua!
Oder: „Wie stehts denn?“
Und nur einer traut sich ganz leise zu sagen, was alle anderen denken: „Das steht doch oben links am Bildschirm, du Flachpfeife.“ Gut, Flachpfeife sagt er nicht.
„Was 13:04, das ist ja wie beim Handball.“
„Mensch, das ist die Uhrzeit.“
„Weiß ich doch. Wollte doch nur mal’n Spaß machen.“

Fußball-Phrasen im Alltag

Spaß machen. Dass ich nicht lache. Ich frage mich, was passiert, wenn all die hohlen Fußballphrasen in unsern Alltag Einzug halten. Wenn wir sie nicht mehr loswerden. Wenn sie in Fleisch und Blut übergehen.
Stellen Sie sich vor, der Dirigent im Konzerthaus tobt: „Ihr müsst mehr über die Flügel spielen!“ Oder der Oberarzt schnauzt die Frau des Gelbsuchtpatienten an: „Mit Gelb ist er noch gut bedient!“

Wir müssen die Räume eng machen...

Wir müssen die Räume eng machen…

Die Sprechstundenhilfe zeigt auf den Zahnarzt und ruft anerkennend: „Er geht dahin, wo es weh tut!“ Und der Patient darauf: „Mundabwischen, weitermachen!“
„Die Null muss hinten stehen“, antwortet die Nachbarin auf die Frage, wo ihr Mann sei.
Und im Kindergarten löst die Erzieherin eine Keilerei aus, weil sie frohlockt: „In dieser Gruppe kann jeder jeden schlagen.“
Der Ehemann drückt wie blöd auf der Fernbedienung herum: „Wir müssen schneller umschalten!“ Beim Anblick der Gartenzwerge stöhnt Herr Schlawutzke: „Die stehen viel zu tief!“ Und der Architekt des Gefängnisses fachsimpelt: „Wir müssen die Räume eng machen!“
Wahnsinn! Nicht auszudenken. Dann werden uns freche Gören im Supermarkt mit dem Einkaufswagen in die Schienbeine fahren und schreien: „Stell dich nicht so an, das ist internationale Härte!“

Butterfahrt im TV

Wenn dann aber Mehmet Scholl seine Stimme erhebt und Oli Kahn in den Chor der Experten einstimmt, dann ist der Spaß vorbei. Dann wissen wir: Leben, du kannst so grausam sein.

Die Joseph-Blatter-Festspiele

Die Joseph-Blatter-Festspiele

Und irgendwann, wenn die brasilianische Krankenschwester im Treppenhaus ihrer Klinik wieder einmal über eine Leiche stolpert, einen eitrigen Blinddarm, der aufgrund der schlechten medizinischen Versorgung nicht behandelt werden konnte, dann ist der letzte Torschrei längst verstummt.

Dann merken wir, dass diese Fußball-Weltmeisterschaft doch nur eine Werbeveranstaltung der Sportartikelhersteller war. Eine Art Butterfahrt im TV. Eine Art Joseph-Blatter-Festspiele.

Sehn Sie und genau dort, wo der Spaß aufhört, fängt der Humor an. Deshalb – falls Deutschland wieder nicht Weltmeister wird: Immer schön lächeln!

Fotos: Ailura (Eigenes Werk) [CC-BY-SA-3.0-at, via Wikimedia Commons; TobiToaster (Eigenes Werk) [CC-BY-3.0], via Wikimedia Commons; Ricardo Stuckert/ABr (Agência Brasil [1]) [CC-BY-3.0-br], via Wikimedia Commons