Woran denken Sie, wenn sie „Tempo“ und „80“ hören? Nein, diesmal geht es nicht um Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen, sondern um „Tempo“. Also das Tempo schlechthin. Das Papiertaschentuch hat Geburtstag. Am 29. Januar wurde es 80 Jahre alt. Geboren in den wilden 20ern hat es die Weltwirtschaftskrise der 30er miterlebt, dann den zweiten Weltkrieg mit anschließendem wirtschaftlichem Aufschwung. Wie sagte einst ein hessischer Volksdichter: „Ob Kinderrotz, ob Katzenpisse, des Tempo möcht i net vermisse.“ Heute, in einer Zeit, in der viele Menschen die Nase gestrichen voll haben, wählen die meisten wieder dieses Stück Zellstoff zum Taschentuch ihres Vertrauens.

„Vertrauen“ ist auch das Wort, das in den ersten Wochen des Jahres am meisten bemüht wurde. Schon in den ersten Stunden des Weltwirtschaftsforums in Davos wurde das „Vertrauen“ arg strapaziert – als meist ausgesprochenes Wort wohlgemerkt.
Da entdecken knallharte Wirtschaftsbosse, Banker und Regierungshäuptlinge ein Wort für sich, das vor einem Jahr noch müde belächelten. „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.“ So wird es einem gewissen Wladimir Uljanow (genannt Lenin) zugesprochen und so war die Devise unserer Finanzkünstler doch bisher.
Die Eröffnungsrede in Davos hielt ein anderer Wladimir – Herr Putin. Warum gerade der? Keine Ahnung, aber vertrauen wir den Organisatoren, dass sie mit ihm den richtigen ausgewählt haben. Und der zog dann auch gleich mächtig vom Leder. Wie bei einem perfekten Sturm auf dem Meer seien alle denkbaren schlechten Umstände zusammengekommen, so bebilderte er die Ursache der Finanzkrise. Aha – der Sturm ist Schuld. Aber Herr Putin, wer den Selbstgebrannten nicht mehr verträgt, sollte es lassen. Sturm! Schon als Erstklässler weiß man, wer gegen den Wind pinkelt, darf sich hinterher nicht wundern, dass er ein gelbes Hemd anhat. Doch Väterchen Gasprom setzt noch eins drauf: „… und jetzt sitzen wir alle in einem Boot“. Damit meint er die Weltwirtschaft.

Ähnliches meint auch unser Herr Ratzinger alias Papst Benedikt als er vier Priester der Piusbruderschaft wieder in die Herde seiner Schafe aufnahm. Es ginge ihm um die Einheit der Kirche. Das heißt, wir sitzen alle im selben Schoß der Kirchenmama, die uns die berotzte Nase wischt. (Natürlich mit Tempo.)
Noch mal zurück in die Höhenluft der Schweizer Berge. Immer wenn irgendeiner uns verklickern muss, dass wir wieder mal die Arschkarte gezogen haben, dass wir den Gürtel enger schnallen müssen… uns so weiter, wird doch das Bild vom Boot bemüht. Wir alle – also wirklich alle, also global gesehen alle – sitzen im selben Boot. Stimmt. Nur, die einen rudern und die andern angeln!
Mit einem Mal zeigt sich, dass fiktive Börsennotierungen nicht halb soviel Wert sind, wie der reelle Wert des Vertrauens. Wären unsere Chefetagen mal weniger Lenins als vielmehr Robert Boschs Leitsatz gefolgt. Der handelte stets nach dem Grundsatz: „Lieber Geld verlieren als Vertrauen.“
Aber was kostet Vertrauen? Wer bekommt es? Wo kommt es her? Wo geht es hin? Die Finanzkrise wird allmählich zur Vertrauenskrise. Die Finanzbosse und Regierungen fordern mehr Vertrauen in die Wirtschaft. Dabei haben viele schon bei ihrer eigenen Frau damit Schwierigkeiten. Mit dem Vertrauen ist das eben so eine Sache. „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er doch die Wahrheit spricht.“ Diese alte Weisheit hat sich bei der Wahl in Hessen allerdings nicht bewahrheitet. Die hessische FDP genießt das Vertrauen von 16,2 Prozent der Wähler. Ausgerechnet diejenigen, die für den ganzen Schlamassel mit verantwortlich sind, haben den größten Stimmenzuwachs. Das ist zum Heulen. (Zum Glück gibt’s Tempos).

Ganz besonderes Vertrauen genießt im Moment der neue Präsident Amerikas. Barack Obama kann sich regelrecht im Bad der Menschenmenge suhlen, soviel Sympathie und Vertrauen wird ihm entgegengebracht. Den Iranern hat er schon das Fürchten gelehrt. Seit 30 Jahren hat Amerika wieder das Gespräch mit dem Iran gesucht. Die trauen ihren Augen und Ohren kaum und haben Angst, ihr Feindbild könnte zerstört werden.
Wenig Vertrauen hat Bahn-Chef Mehdorn. Der ließ gleich mal 173000 seiner Mitarbeiter bespitzeln. Die beauftragte Detektei Network bekam dafür 800000 Euro. Das sind gerade mal 4,62 Euro pro Bespitzelung pro Mann. Ein echtes Schnäppchen, wer kann da schon nein sagen. Für diesen Preis bekommt man im Bordrestaurant der Bahn nicht einmal eine Spreewälder Rotkohlsuppe mit Schweineklößchen. (Die kostet 4,90 Euro – Essen auf Rädern hat halt seinen Preis.)
Vertrauen erschleichen konnte sich Klaus Zumwinkel. Zumindest bei der Justiz. Er bereute zutiefst seine steuerlichen Untaten und gelobte Besserung. Ich bin froh, ihn nicht im Gefängnis zu wissen. Ein Häftling kostet pro Tag in NRW ca. 120 Euro. Das sind im Monat 3600 Euro, macht bei vierundzwanzig Monaten Haft 86400 Euro. Und das aus Steuergeldern. Also Sie und ich, wir hätten dem Herrn Zumwinkel auch noch den Knastaufenthalt spendiert. Einzelzimmer, Essen und Trinken satt. Sozusagen 2 Jahre JVA All inclusive.

Was sonst noch passierte: die Gesundheitsreform geriet ins Stocken, noch bevor sie richtig ins Rollen kam und Deutschland wurde bei der Handball-WM nur Fünfter. Ob beides miteinander zusammenhängt, weiß ich nicht. Jedenfalls waren ganz schön viele deutsche Handballer krank.

Ach ja, und Grippewelle gabs auch noch. Aber das ist ja kein Problem: Dank Tempo!